Zug nach Norden: Eine Sommerreise durch Polen und das, was bleibt

Der Zug nach Gdańsk war alt, aber der Sommer jung. Ich saß am Fenster, der Wind roch nach Sonne und Metall. Draußen glitten Felder vorbei, Wiesen, Dörfer, Birken. Dieses Land ist groß, dachte ich, und still – auf eine Weise, die man nicht beschreiben kann, nur fühlen.


Zwischen Krakau und Toruń

Neben mir saß eine Frau mit einem Buch von Szymborska. Sie las, langsam, mit den Lippen. Ich fragte sie, ob sie die Gedichte mag. Sie nickte, sah mich kurz an, dann wieder auf die Seite.
Wir sprachen kaum, aber irgendwie war’s ein Gespräch.
An einem Bahnhof stieg sie kurz aus, kaufte zwei Äpfel – einen legte sie kommentarlos vor mich hin. „Z polskiego sadu“, sagte sie leise. „Aus einem polnischen Garten.“


Warschau, Nachmittag, Hitze

Die Stadt war laut, heiß, flirrend. Ich lief durch Straßen, die nach Kaffee und Asphalt rochen. Der Zug fuhr erst am Abend weiter, also setzte ich mich in ein Straßencafé.
Ein alter Mann spielte Akkordeon. Ich erinnerte mich an die Frau mit dem Buch. Ob sie auch jetzt irgendwo durch dieses Land fuhr?


Danzig bei Nacht

Als ich ankam, lag die Stadt im goldenen Licht. Die Schiffe ruhten, der Himmel brannte. Ich ging am Wasser entlang, sah Menschen lachen, sah Paare tanzen, sah Kinder mit Eis in der Hand.

Und dann – sie.
Die Frau aus dem Zug, auf einer Bank, wieder lesend. Ich blieb stehen, sie sah auf, lächelte. Kein Wort. Kein Zufall.

Wir liefen am Kai entlang, schweigend, wie zwei Menschen, die etwas teilen, das sie nicht erklären müssen.


Am Morgen

Wir tranken Kaffee in einem kleinen Bistro, die Sonne fiel durch das Fenster. Sie erzählte mir, dass sie Lehrerin sei, dass sie Gedichte schreibt, dass sie gern am Meer sitzt, wenn es regnet.
Ich erzählte von meiner Reise, von zu vielen Plänen, von zu wenig Schlaf.
Dann kam ihr Zug. Richtung Süden. Sie winkte, ich blieb.


Manchmal sind Reisen nicht dafür da, anzukommen. Sondern dafür, jemandem zu begegnen, der einen kurz daran erinnert, wie leicht alles sein kann.
Ich weiß nicht, ob ich sie je wieder sehe. Aber jedes Mal, wenn ich einen Zug in Polen sehe, denke ich an diesen Sommer, an das Buch auf ihrem Schoß – und an den Apfel, den ich nie gegessen habe. 🍎


 

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