Wo Europa noch Dschungel ist: Mein Date mit dem König des Waldes (Wisent-Alarm!)

Leute, vergesst den Amazonas. Vergesst Kanada.
Ich war am Wochenende dort, wo sich Fuchs und Hase nicht nur Gute Nacht sagen, sondern wo sie wahrscheinlich Angst haben, von einem 900-Kilo-Koloss plattgemacht zu werden. Ich war in Białowieża.
Ganz im Osten von Polen, direkt an der Grenze zu Belarus, liegt der älteste Wald Europas. Und wenn ich „Wald“ sage, meine ich nicht den gepflegten Forst hinterm Haus, wo man am Sonntag spazieren geht. Ich rede von Urwald. Totholz, riesige Eichen, die schon standen, als Kolumbus noch in die Windeln gemacht hat, und eine Stille, die fast schon in den Ohren drückt.
Ich wollte unbedingt den Wisent (Żubr) sehen. Das größte Landsäugetier Europas. Ob ich ihn gefunden habe und warum ich fast von Mücken aufgefressen wurde, erzähl ich euch jetzt.

🐗 Anreise in das Nirgendwo

Die Fahrt dorthin ist schon ein Abenteuer. Man fährt von Warschau aus immer weiter nach Osten, die Straßen werden schmaler, die Dörfer bestehen oft nur noch aus wunderschönen, alten Holzhäusern mit bunten Fensterläden. Man merkt richtig, wie die Zivilisation langsam zurückbleibt.
Als ich in dem kleinen Dorf Białowieża ankam, war mein Handyempfang so lala, aber die Luft? Leute, die Luft kann man trinken. So frisch riecht das.
Ich hab in einer kleinen Pension geschlafen, „Agroturystyka“ nennen die das hier. Meine Gastmutter sprach zwar kein Wort Englisch und mein Polnisch beschränkt sich auf „Dzień Dobry“ und „Pierogi“, aber wir haben uns mit Händen und Füßen verstanden. Und das Frühstück? Rührei von glücklichen Hühnern, das so gelb war, dass es fast geleuchtet hat.

🌳 Das streng geschützte Gebiet: Nur mit Bodyguard (Guide)

Das Herzstück des Parks ist das Rezerwat Ścisły (streng geschütztes Gebiet). Da dürft ihr nicht alleine rein. Das ist streng verboten, und das ist auch gut so. Ihr braucht einen lizenzierten Guide.
Ich hab mir am Parkeingang einen gebucht. Mein Guide hieß Marek, ein Typ wie ein Bär, der jeden Baum beim Vornamen kannte.
Wir sind durch ein riesiges Eichentor gelaufen und zack – du bist in einer anderen Welt.
Überall liegen umgestürzte Baumriesen. Moos bedeckt alles. Pilze in Farben, die ich noch nie gesehen hab. Marek hat erklärt, dass hier der Mensch nicht eingreift. Wenn ein Baum umfällt, bleibt er liegen. Das ist der Kreislauf des Lebens in HD.
Es ist düster, feucht und mystisch. Man wartet eigentlich nur drauf, dass Rotkäppchen oder ein Dinosaurier vorbeikommt.

Wichtig: Zieht feste Schuhe an! Und im Sommer: Mückenspray. Nicht das billige Zeug aus der Drogerie, sondern das chemische Keule-Zeug. Die Mücken hier sind mutig und hungrig. Ich spreche aus leidvoller Erfahrung.

🦬 Die Jagd nach dem Wisent (Żubr)

Aber ich war ja wegen den Bisons hier. Marek meinte: „Alex, das ist kein Zoo. Die Tiere kommen nicht auf Bestellung.“
Wir sind stundenlang gewandert. Ich hab gelernt, wie man Spuren liest (okay, ich hab so getan, als ob ich es verstehe). Wir haben Spechte gesehen und Rehe, aber keinen Wisent.
Ich war schon kurz vorm Aufgeben.
Und dann, auf einer Lichtung am Waldrand, kurz vor Sonnenuntergang: Da standen sie.
Eine kleine Herde. Drei Kühe und ein riesiger Bulle.
Leute, die sind RIESIG. Wenn so ein Tier 50 Meter vor dir steht und dich anglotzt, dann fühlst du dich verdammt klein. Mein Herz hat gewummert wie ein Techno-Beat. Wir waren ganz leise, haben nur geguckt. Der Bulle hat kurz geschnaubt, Gras gefressen und uns ignoriert.
Das war einer der krassesten Natur-Momente meines Lebens. Viel besser als jede Safari im TV.

Der Fail-Safe Tipp: Falls ihr in freier Wildbahn kein Glück habt (kann passieren!), gibt es das Schaugehege (Rezerwat Pokazowy) ein paar Kilometer weiter. Da seht ihr die Wisente garantiert, plus Elche und Wildschweine. Ist auch cool, aber das „wilde“ Erlebnis ist unschlagbar.

🚂 Essen im Zaren-Bahnhof

Nach so viel Natur hatte ich Hunger wie ein Wisent.
In Białowieża gibt es ein Restaurant, das heißt Restauracja Carska. Das ist im alten Bahnhofsgebäude, das mal für den russischen Zaren gebaut wurde (der kam früher hierher zum Jagen).
Das Ambiente ist mega edel, alte Möbel, Samtvorhänge – aber man darf auch in Wanderklamotten rein.
Ich hab mich mal getraut und Wild probiert. Wildschweinbraten mit Buchweizen.

Und dazu müsst ihr das lokale Getränk probieren: Żubrówka. Das ist Wodka mit einem Halm von dem Büffelgras, das hier wächst. Schmeckt nach Waldmeister und Zimt. Aber Vorsicht, das Zeug ist süffig!

🌿 Nichts für Party-Mäuse, aber Balsam für die Seele

Białowieża ist kein Ort für Party oder Shopping. Wer Action will, ist hier falsch.
Aber wer mal wirklich runterkommen will, wer sehen will, wie Europa aussah, bevor wir alles zugepflastert haben, der muss hier hin.
Es ist ein bisschen gruselig, wunderschön und total erdend. Ich hab mich selten so entspannt gefühlt wie nach diesen drei Tagen ohne WLAN (okay, mit wenig WLAN) und viel Wald.

Wart ihr schon mal in einem Urwald? Oder hättet ihr Schiss, einem Wisent zu begegnen?
Ich sag euch, der Respekt ist groß, aber die Faszination ist größer